Vor ziemlich genau einem Jahr am Römerfest in Augusta Raurica. Dutzende von Marktständen boten historisches Handwerk, Geköch und Textil-Gebastel in Schweinelatein an, um den Kindern die Welt der Römer ganz praktisch näher zu bringen. Dazu gehörte auch ein Stand, wo man aus einem Kloss Tonerde auf einem Wurstpappteller etwas römisch anmutendes herstellen konnte. Das könnte dann z.B so aussehen.
Kinder töpfern am Römerfest
Halt was man als kleineR RömerIn so braucht. Reiterfigürchen, ein lachendes Tongesicht, Teelichtlein oder ein Schälchen für Oliven/die ersten Milchzähne. Lässt sich später auch problemlos in einen Aschenbecher umfunktionieren… Das an den Tag gelegte handwerkliche Geschick reichte von gewissenhaft-einfach bis künstlerisch anspruchsvoll.
Ein Werk unter den zum Trocknen ausgelegten Artefakten stach jedoch durch sein besonderes je-ne-sais-quoi hervor…
"Ultras Inter"
Meine erste Reaktion war ein lautes Prusten, gefolgt von abgrundtiefem Kummer über das fehlende Verständnis für dieses ganze, aufwändig inszenierte Spektakel. Dass einem Kind der Sinn und Zweck des Römerfests so gründlich entgangen sein könnte, und ihm nichts besseres als eine platte Fussballphrase als Inspiration dienen mochte, obwohl er von verdammt echt wirkenden römischen Soldaten, Boxkämpfern und reihenweise Kostümen und sonstigem Gedöns umzingelt war…
Doch einige Tage darauf zweifelte ich an meinem schnellen Urteil. Was vollkommen deplatziert schien, ergab plötzlich verdammt viel Sinn. Besser noch, vielleicht hatte der/die Unbekannte (nehmen wir mal an, es war ein Junge) als praktisch einziger den wahren Geist der römischen Kultur erfasst und äusserst prägnant auf die heutige Zeit übertragen. Schliesslich atmete das römische Reich geradezu den Krieg und die Unterwerfung. An einem so weit entfernten Grenzposten wie Augusta Raurica, wo ein guter Teil der Bevölkerung wohl aus den stationierten Soldaten, zum Schutz vor den Barbaren ennet des Rheins, bestand, erst recht. Wer an einem Wochenende schon mal in einem Zugabteil voller räudiger Infanteristen mitgefahren ist, weiss, was ich meine. Und dennoch finden sich in Augusta Raurica auch das Amphitheater, der Zirkus und weitere Zeugnisse von Kunst und Unterhaltung. Die römische Kultur umfasste also unbedingt beides. Was passt da besser, als ein Spruch, der gleichzeitig für die Leidenschaft für körperliche Ertüchtigung auf höchstem Niveau wie auch für rohe Gewalt schlechthin steht? Ultras Inter. Die Boys von der Mailänder Nordkurve zelebrieren im Grunde die römischen Zirkusspiele weiter, und wie in der Arena damals, geht es auch im Fussball immer um Leben und Tod. Männer unter sich. Nackte Oberkörper. Gegröhle aus vollen Kehlen. Wir gegen die anderen. Singen, tanzen und eins auf die Mütze, um den kalten Alltag zu vertreiben. Und wer wirklich verdient, zu leben oder zu sterben, wird immer noch hoch oben auf den Rängen per Handzeichen entschieden. Grossartig.